Zwischen Gestern und Gelächter: Mit einem Mini-Senryü-Zyklus

Manchmal reicht ein Blick, ein Sonnenstrahl, ein Hauch von Frühling – und schon tanzt das Ego wieder Walzer,
als sei das Alter nur ein statistischer Unfall. Doch das Leben ist großzügig mit Korrekturen.

Ein Text über Selbstbild, Sehnsucht
und die stille Kunst, über sich selbst zu schmunzeln.


Mini-Zyklus: Der Frühling des Egos

1. Erwachen
Frühling in den Blick –
die Jahre schmolzen dahin
wie Schnee vor der Glut.

 

Sie kam wie aus dem Nichts –
ein Wesen, das die Luft mit Licht versah. Jugendlich, anmutig,
als wäre sie einer Werbung für Unsterblichkeit entstiegen.
Mein Herz, alt und trotzig, pochte plötzlich in einem Takt,
den es lange nicht mehr kannte. Mein Rücken streckte sich
wie von selbst. Ich fühlte mich zwischen
„noch kann ich“ und „wer weiß“.

2. Höhepunkt
Sie trat nah heran,
und mein Rückgrat flüsterte:
„Du kannst das noch, Freund.“

 Sie näherte sich langsam –
Augen wie Verse aus einem Liebeslied,
das man längst vergessen glaubte.
Ich atmete ein. Bereit für ein Wunder.
Dann kam sie nah genug,
sah mir offen ins Gesicht – und sagte mit einer Stimme,
die mehr Welt wusste als ich hören wollte:
„Ihr Hosenstall, guter Mann, er führt ein Eigenleben.“
Ich nickte. Wie jeder König, dem man
die Krone geradegerichtet hat.

3. Realität
Doch mein Hosenstall
war schneller als meine Lust –
sie lachte zuerst.


Nachwort

Der Mensch ist ein Wesen mit Rückspiegeln – meist leicht gewölbt, oft zu schmeichelhaft.
Doch manchmal braucht es keine Lebenskrise, sondern nur einen Satz mit Zöpfen,
um das Ego wieder auf Bodennähe einzunorden. Wie schön, wenn man in solchen
Momenten nicht nur errötet – sondern auch über sich selbst lachen kann.

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