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Zyklen

🪶 Vom Schwinden und Bleiben

Ein Zyklus von fünf Sonetten – in Shakespeare-Aufteilung.

Er folgt alten Bildern der Vanitas und Fortuna, des Todes sowie der Liebe –
und sucht im Glanz der Ewigkeit nach dem, was Bestand hat.


Teil I– Vom Schwund der Dinge
Tempus edax rerum – Die Zeit frisst alles
Im Strom der Zeiten erlischt alles – außer der Liebe.

Was glänzt, vergeht, was tönt, verhallt im Raum der Zeit,
was prangt, zerfällt, was steht, das muss sich dennoch neigen;
und selbst der Stolz, der hoch sich reckt, wird Staub und Leid,
kein Werk entgeht dem Zahn, kein Werk dem Strom der Zeiten.

Wo heute Glanz, da liegt bald trübe, leer der Stein,
wo Leben flammt, da glimmt nur Asche kalt im Grunde;
kein Hort ist fest, kein Schatz kann ewig Hüter sein,
kein Tag entrinnt dem Schwund, kein Glück der dunklen Stunde.

So lern’, o Herz, dass alles endlich sinken muss,
dass keine Hand den Fluss der Jahre je kann binden;
ergreif’, was flieht, und wend’ es still in deinen Kuss,
eh’ Nacht herauf sich hebt, und Schatten dich umwinden.

Im Schwund der Dinge bleibt nur, was uns treu vereint:
die Lieb’, die stärker als der Tod im Dunkel scheint.

✶Siehe Epilog


Teil II – Das Rad der Zeiten
Fortuna rota volvitur – Das Rad der Fortuna dreht sich
Im Kreisen des Rades bleibt nur der stille Punkt.

Es rollt das Rad, das hoch erhebt und tief hinab,
ein Kreis, der ohne Rast den Lauf des Lebens lenket;
was heute glänzt, wird morgen Staub im finstern Grab,
was unten liegt, wird neu ins Licht zurückgeschenket.

Kein Stand ist fest, kein Glück beharrt in seiner Bahn,
Fortuna lächelt trügerisch und wendet bald ihr Gesicht;
ihr Spiel verzehrt, was sich im eitlen Stolz getan.
Sie stürzt, erhebt, doch keiner hält, was sie verspricht,

So lern’, o Herz, nicht trauen diesem schnellen Schwung,
nicht halten wollen, was doch fällt in kurzer Frist;
ergreif’ das Maß, das bleibt in aller Wandlung jung,
den stillen Punkt, der unbewegt im Zentrum ist.

Denn mitten in dem Rad, das rastlos Kreise treibt,
ruht still allein, was unverrückbar bleibt.

✶Siehe Epilog


Teil III – Die Stunde des Todes
Memento mori – Gedenke des Todes
Wenn Glocken schlagen, fällt das Maß der Stunde.

Wenn Glocken hallen, naht die Stunde ohne Licht,
ein Schlag, der Herz und Zeit im gleichen Takte misst;
kein Stand, kein Reichtum birgt, kein König schützt sich nicht,
der Tod erhebt die Hand, die unaufhaltsam ist.

Die Sanduhr rinnt, der letzte Tropfen fällt ins Nichts,
der Atem stockt, das Auge schließt sich ohne Gnade;
ein jedes Haupt beugt nieder sich vor seinem Gericht,
und Krone, Schwert und Gold vergehn wie jede Habe.

So lern’, o Herz, dass nichts dich retten mag vom Ziel,
kein Wall, kein Werk, kein Name hält die schwarze Stunde;
doch was in Lieb’ du trägst, das überdauert viel,
ein Leuchten bleibt im Dunkel, stärker als die Wunde.

Denn wo die Stunde schlägt und alles niederbricht,
leuchtet allein der Liebe stilles Licht.

✶Siehe Epilog


Teil IV – Amor contra Mortem
Amor vincit mortem – Die Liebe besiegt den Tod
Im Schatten des Todes entzündet sich die Liebe.

Wenn Nacht herauf sich legt und kalte Schatten wehen,
so tritt die Liebe still und hält die dunkle Wacht;
kein Grab vermag ihr Licht im Dunkel zu verwehen,
kein Tod entreißt, was Herz mit Herz zusammenmacht.

Die Sense schweigt, wo Lippen sich im Kusse finden,
die Stunde flieht, wo Treue ihre Flamme nährt;
der Tod mag herrschen, doch er kann die Glut nicht binden,
wo Liebe lebt, die über alle Grenzen währt.

So lern’, o Herz, dass selbst im Fall der letzten Frist
ein Leuchten bleibt, das stärker als das Dunkel ist;
kein Schatten löscht, was Lieb’ in deinem Wesen webt,
kein Ende nimmt, was unvergänglich weiterlebt.

Denn stärker als der Tod, der alle niederreißt,
ist Lieb’, die still im Herz des Menschen kreist.

✶Siehe Epilog


Teil V – Im Glanz der Ewigkeit
Aeternitas
Ein Strahl des Lichts durchbricht den Strom der Zeiten

Wenn alles sinkt, erhebt sich doch ein andres Sein,
ein Leuchten jenseits Zeit und Wandlung, hell und klar;
kein Tod, kein Rad der Zeit verschließt dies lichte Heil,
ein Glanz, der bleibt, wo nichts mehr ist, und ewig war.

Die Jahre schwinden, doch das Eine bleibt bestehn,
das Wort, das Liebe spricht, das Herz in Treue trägt;
kein Strom vermag dies Licht im Dunkel zu verwehn,
kein Tod zerreißt, was sich ins Ewige bewegt.

So lern’, o Herz, dass über Staub und Asche geht
ein Strahl, der dich erfasst und unvergänglich lebt;
kein Schatten trübt, was über alle Enden steht,
kein Ende nimmt, was sich in Ewigkeit erhebt.

Denn wo die Zeit vergeht, die Jahre sich verzehn,
wird Glanz der Ewigkeit im stillen Sein bestehn.

✶Siehe Epilog


Epilog

Erklärungen und Ideengeber zu den einzelnen Teilen.
Hier einige kurze Hinweise zu den einzelnen Sonetten –
von Ovid bis Orff, von barocker Vanitas bis zur Hoffnung auf Ewigkeit.
Auch ein musikalischer Nachhall ist dabei.

Teil I – Vom Schwund der Dinge (Ovid)
Der Bezug zu Ovid ist bewusst gewählt: Tempus edax rerum („Die Zeit frisst alles“)
steht in den Metamorphosen XV (234), ein klassisches Vanitas-Motto –
Vergänglichkeit als Grundton, Liebe als Gegenpol.

Teil II – Das Rad der Zeiten (Carmina Burana / Orff)
„Die Carmina Burana“ stammen aus einer mittelalterlichen Handschrift
(Benediktbeuern, um 1230), darin das berühmte Fortuna-Lied
„O Fortuna“. Carl Orff hat es 1937 in Frankfurt vertont.
Mein Sonett knüpft an dieses uralte Fortuna-Bild an – mit Orffs Nachhall im Ohr.

👉 Zum Nachhören: Carl Orff – O Fortuna (Carmina Burana)

Teil III – Die Stunde des Todes (Memento mori)
Die Wendung „Memento mori“ (Gedenke des Todes“) gehört zur barocken Vanitas-Tradition.
Symbole wie Glockenschlag, Sanduhr und Totenschädel erinnern an die Endlichkeit allen Lebens.

Teil IV – Amor contra Mortem.
Im Barock war die Antithese Amor et Mors – Liebe und Tod – ein gängiges Motiv.
Der Paarreim im Sextett ist bewusst gewählt: er bricht die Strenge, hymnisch,
aufbrechend – passend zum Thema Amor contra Mortem.
Danach kehrt die klassische Form zurück.“

Teil V – Im Glanz der Ewigkeit (Aeternitas)
„Das Gegenbild zur Vanitas war Aeternitas – Ewigkeit,
oft als göttliches Licht dargestellt.

Der Zyklus mündet bewusst in dieser Hoffnung:
über Vergänglichkeit, Fortuna, Tod und Liebe hinaus
bleibt ein Glanz, der alles Irdische überstrahlt.“